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Vom Streben…

auroravision Sabine Grath

Aktualisiert: 30. Jan.

Hast du Angst vor dem Tod?

Den Tod kann sich mein Kopf bis heute nicht vorstellen. Er ist das Ende des Lebens, doch was heißt das wirklich? Leben ist ein Zyklus von Kommen und Gehen. Die Jahreszeiten, die Weiterentwicklung von Landschaften, Gebirgen, Meeren, Pflanzen, Tieren und Menschen, das ist alles immer Kommen und Gehen. Ich habe keine Angst vor dem Tod, denn ich fühle eine tiefe Gewissheit in mir, dass der Zyklus eine Änderung unserer Form in eine andere bedeutet. Doch vor dem Sterben hatte ich immer Angst. Diesem Prozess muss ich zusehen, ihn in meinem Körper spüren, den Schmerz und das Leid fühlen, ohne zu wissen wann er endlich zu Ende sein wird.

 

Das Sterben von geliebten Menschen begleitet mich seit meinem 14. Lebensjahr. Da verlor ich, nein wir, eine wundervolle Freundin an den Knochenkrebs. Der Prozess ihr beim Streben zuzusehen war seltsam. Auf der einen Seite nicht verstehbar und tieftraurig. Auf der anderen Seite leicht und lustig. Wir waren oft bei ihr und haben intensiv gefeiert, so wie das viele 13-Jährigen tun. Sie war immer ganz vorne dabei tanzen zu lauter Musik, Rotwein trinken und mit Jungs flirten. Unsere Clique war groß und irgendwie wollte jeder ganz nah bei ihr sein, denn sie strahlte die pure Lebensfreude aus. Mit ihr zu sein, hieß den Alltag hinter sich lassen und leicht sein. Doch gegen Ende war es ihr Wunsch allein zu sein in ihrer Familie. In ihren letzten Wochen wollte sie fast nicht mehr besucht werden. Ich glaube sie wollte nicht, dass wir sie so zerbrechlich sahen. Sie wollte sich als die pure Lebensfreude in unsere Erinnerung brennen, denn das würde sie lebendig halten und so ist es auch heute noch für mich. Wenn ich an sie denke, sehe ich sie Tanzen, Lachen und sagen, was sie denkt. Sie ist zu meinem Vorbild von Lebensfreude geworden und hat ein Stück meiner Angst vor dem Sterben mit sich genommen.

Zwei Jahre später erkrankte die Mama meiner Herzschwester an Krebs. Es ging noch viel schneller und um ehrlich zu sein so schnell, dass ich kaum sortierte Erinnerungen habe. Das meiste ist zu einem einzigen Erinnerungsklumpen zusammengeschmolzen. Ich weiß noch, dass wir nach der Schule oft im Krankenhaus zu Besuch waren und im nächsten Erinnerungsfetzen stehen wir in der Kirche bei der Trauerfeier. Ich bemühte mich für meine Herzschwester da zu sein. Sie war nach dem Tod ihrer Mama auf sich allein gestellt. Doch was kann eine 16-Jährige tun? Ich übernachtete oft bei ihr, kochte Essen oder räumte auf, hörte ihr zu und schwieg mit ihr. Auch hier gab es unsere Clique. Immer war einer von uns bei ihr. Auch jetzt feierten wir, doch viel leiser mit weniger Freude. Oder vielleicht versuchten wir auch uns ordentlich zu betäuben. Wenn ich in diese Zeit zurückfühle, ist da viel Schmerz, Traurigkeit und Schwere in meinem Herzen. Auch die Mama meiner Herzschwester hat ein Stück meiner Angst vor dem Sterben mit sich genommen.

Dann kam dieser eine Tag. Ich wusste schon morgens beim Aufstehen, dass etwas nicht stimmte. Der ganze Tag war wie im Nebel. In meiner Pause rief ich in der psychosomatischen Klinik an, in der meine Mama stationär untergebracht war. Sie sagten mir ich dürfe ab jetzt wieder mit ihr sprechen und sie besuchen, da sie auf eine der offenen Stationen verlegt worden war. Mein Kopf atmete auf. Ich sprach eine ganze Weile mit ihr und sie erzählte viel. Sie war sehr gut gelaunt, entspannt und hoffnungsvoll. Mein Kopf und mein Körper entspannten sich völlig, während wir sprachen. Doch meine Brust war immer noch zusammengepresst und schmerzte, als steckte etwas darin.

Ich weiß noch, dass ich diesen Zustand, entspannter Kopf und Körper bei schmerzender Brust, total komisch fand, doch ich schenkte dem nicht weiter Beachtung. Ich ging an diesem Abend ins Bett und mein Kopf erzählte mir, dass alles gut sei, ich mir keine Gedanken machen müsste und dass ich mir das schmerzhafte Gefühl in meiner Brust nur einbilden würde.

Am frühen Abend des nächsten Tages konnte ich kaum noch klar denken und arbeitet trotzdem weiter, denn es gibt viel zu tun in der Landwirtschaft Anfang September. Das Gefühl in meiner Brust wurde so stark, dass daraus eine Gewissheit entstand. Diese breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Mein Kopf versuchte mit seinen Argumenten gegenzusteuern doch je stärker das Gefühl in mir ausbreitete, desto leiser wurde er.

Ich kam erst in meinem Zimmer an, als es schon stockdunkel war und schaute auf mein Handy. Da war eine unbekannte Nummer die mehrfach versucht hatte anzurufen. Ich rief zurück und die Stimme sagte mir das meine Mama tot sei. Sie habe sich vermutlich das Leben selbst beendet. Ich sei die einzige, von der die Telefonnummer bekannt war. Danach die Frage, ob ICH meine Familie informieren könnte.

Bei dem Wort tot entspannte sich mein ganzer Körper, denn aus der Gewissheit wurde Realität. Mein Kopf schwieg für eine sehr, sehr lange Zeit. Für mindestens 12 Monate funktionierte ich nur noch im Autopilot.

Gestern hörte ich einen Satz: „Wir werden zweimal geboren. Einmal bei unsere Geburt und ein zweites Mal, wenn unsere Mama stirbt.“ Aus heutiger Sicht kann ich das aus tiefstem Herzen bestätigen. Doch diese 12 Monate `Geburtskanal´ nach ihrem Tod, sind ein schleimiger, nebeliger und schmerzverzerrter Klumpen. Keine wirkliche Erinnerung, Autopilot und Überlebensmodus vom Feinsten. Einzelne Erinnerungen schwimmen oben auf und diese sind mir heilig. Ihre Beerdigung, Weihnachten mit allen zusammen nur ohne Sie, der Abbruch meiner Ausbildung und die vielen male Nächte durch Feiern, um mich nicht zu erinnern.

 

Ich weiß, dass ihre Entscheidung für sie einzige Möglichkeit war ihr Leben in Würde gelebt zu haben. Ihre beste Freundin sagte, mal zu mir das wäre die allererste Entscheidung meiner Mama gewesen, die sie nur für sich getroffen hat. Ja, sie hat sich für sich und ihre Würde entschieden. Das hat mich unfassbar stolz und frei gemacht.

Sie hat mir viel geschenkt in unseren neunzehn Jahren gemeinsam Leben. Ich habe meine starken, vitalen Wurzeln durch sie und auch die Erlaubnis ihr Trauma in mir zu heilen. Doch die Freiheit, die sie mir mit ihrem Tod schenkte, übertrifft das. Ich wurde neu geboren und seitdem bin ich auf der Reise mich in allen Facetten kennenzulernen, zu erkennen und zu erinnern.

Auch, meine Mama hat ein Stück meiner Angst vor dem Sterben mit sich genommen.

 

Auf meiner Reise verlor ich noch einige geliebte Menschen und es werden noch viele hinzukommen. Doch jede und jeder hat ein Stück Angst mit sich genommen und mir ein Geschenk dagelassen. Mittlerweile hat meine Angst zu sterben eine handliche Größe. Doch keiner hatte mich gewarnt, dass die Angst vor dem Sterben auf eine andere Weise zurückkehrt, wenn du Kinder geboren hast. Dieser Angst widme ich mich nun immer wieder in dem ich sie spüre. Ich begegne ihr mit Vertrauen, welches ich durchs Leben erlernt habe und mit dem Wissen, dass alles kontrollieren zu wollen mich vom Leben selbst abhält.

 
 
 

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